Wende in Eisenach 1989/90

1989, September

Vom 15. bis 19. September tagt im Haus Hainstein die Synode des Bundes der Evangelischen Kirche in der DDR. In der Synode wird zu den drängenden Probleme des Landes Stellung bezogen und versucht, Ursachen für die Massenauswanderung von Bürgern der DDR in die Bundesrepublik zu beenden. Eine Mitteilung an die Gemeindemitglieder wird von der Bundessynode beschlossen. In den westdeutschen Medien wird ausführlich über die Synode berichtet. Das Parteiorgan „Neues Deutschland“ spricht von einer „Frontberichterstattung“.

Oktober

Der 40. Jahrestag der DDR wird auch in Eisenach mit zahlreichen Veranstaltungen gefeiert. In der von Pfarrer Martin Wienecke geöffneten Paul-Gerhardt-Kirche kommen am 10. Oktober mehrere Hundert Menschen zusammen. Von Dr. Hasse und Margot Friedrich wird der „Demokratische Aufbruch“ (DA) vorgestellt. Am gleichen Tag verfaßt das Schauspielensemble des Landestheaters gemeinsam mit der Landeskapelle eine Resolution, in der allgemeine Forderungen an die Partei- und Staatsführung sowie die Bürger gerichtet werden. Ein von Landesbischof Leich verfaßter „Hirtenbrief an die Gemeinden“ wird am 15. Oktober in allen Gottesdiensten des Landes verlesen. In ihm wird zu einer Erneuerung von Staat und Gesellschaft aufgefordert und erste Schritte dahingehend benannt. Am darauffolgenden Tag treffen sich Tausende Eisenacher in der Georgenkirche zum ersten großen Friedensgebet. Landesbischof Dr. Wener Leich spricht zu den Versammelten. Die Friedensgebete finden nun allwöchentlich montags in der Georgenkirche statt.

Am 18. Oktober treffen sich mehrere Vertreter der Kirche und der Bürgerbewegung im „Glockenhof“ - unter Ihnen Dr. Hasse, Margot Friedrich und Superintendent Hans Herbst. Sie bereiten ein für den kommenden Tag anberaumtes Treffen mit Vertretern der staatlichen Seite vor. Die Zusammenkunft von Vertretern der Bürgerbewegung, der Kirche und des Staatsapparates am 19. Oktober im Rat des Kreises stellt die Geburtsstunde der „Rundtisch-Gespräche“ auf dem Boden der DDR dar: Moderatoren des abendlichen Gesprächs sind Superintendent Herbst und der katholische Pfarrer Egenolf: Damit beginnen die regelmäßigen Beratungen zwischen dem Rat des Kreises und den demokratischen Gruppierungen in Eisenach. Am gleichen Tag treffen sich im Diakonissenhaus auf Einladung des Neurologen Dr. Hermann Schwenkbier Eisenacher Ärzte aller Konfessionen. Sie bereiten eine gemeinsame Erklärung zu Fragen und Problemen der Zeit vor, die zu einem späteren Zeitpunkt öffentlich verlesen wird. Eine „Initiativgruppe Ärzte“ wird von ihnen am 24. Oktober gebildet. Ein Gedankenaustausch zu aktuellen Fragen wird vom Ersten Sekretär der SED-Kreisleitung, Klaus-Dieter Waschau, mit Vertretern der Parteien und staatlichen Massenorganisationen initiiert.

Tausende Eisenacher finden sich auch am 23. Oktober wieder in der Georgenkirche ein. Da die Georgenkirche die Menschenmassen nicht fassen kann, kommt es vor dem Georgenbrunnen zu einer parallelen Veranstaltung. Landesbischof Leich berichtet über sein Zusammentreffen mit dem neuen SED-Generalsekretär Egon Krenz am 19. Oktober in Schloß Hubertusstock. Mehrere Parteien und basisdemokratische Gruppen nutzen den Friedensgottesdienst zur Information der Massen über Ihre Programme und Forderungen.

Der folgende Tag bringt eine erste demokratische Aussprache zwischen Bürgern und dem Bürgermeister in der Aula des Instituts für Lehrerbildung (IfL), bei der es vorrangig um Probleme der Stadtsanierung geht. Im Syltenhaus treffen sich am 25. Oktober schätzungsweise 800 Personen zur Gründung des „Neuen Forums“ Eisenach (NF). Der DA Eisenach wird am 26. Oktober im Falkhaus gegründet. Des weiteren werden Facharbeitsgruppen zur Ausarbeitung von Reformvorschlägen gebildet. Auf Initiative der Kirche findet ebenfalls an diesem Tag ein Empfang beim Vorsitzenden des Rates des Kreises, Werner Uth, statt. Vertreter der Kirche, der Bürgerbewegung, der territorialen Staatsorgane, der SED und des FDGB des Kreises diskutieren das Wie eines demokratischen Dialogs zu gesellschaftlichen Problemen.

In der Aula des Instituts für Lehrerbildung wird auf Einladung des Rates der Stadt und des Bürgermeisters am 28. Oktober ein Bürgergespräch veranstaltet, das unter dem Thema, „Eisenach heute und morgen steht“. Diese Dialogveranstaltung ist die erste demokratische Aussprache ihrer Art in Eisenach und wird wöchentlich als „Samstagsdialog“ zu einer bestimmten Themenstellung fortgeführt. Der Friedensgottesdienst am 30. Oktober vereint wiederum Tausende in der Kirche sowie zu einer Kundgebung vor dem Georgenbrunnen. Bei dieser Gelegenheit wird das Eisenacher „Bürgerkomitee“ aus 12 gewählten Vertretern aller gesellschaftlichen Bereiche gebildet. Ein Demonstrationszug durch die Innenstadt schließt sich an.

November

Auf Einladung des Rates des Kreises kommt es in der Sporthalle Katzenaue zu einem Dialogabend mit etwa 4.000 Teilnehmern. Vertreter der Stadt, des Kreises, der Parteien und Massenorganisationen sowie der basisdemokratischen Gruppen stellen sich der Aussprache mit den Bürgern. Moderator des Abends ist Uwe Ehrich (CDU).

Die vom 2. - 5. November tagende Synode der Thüringer Landeskirche verabschiedet eine Entschließung zur aktuellen Situation. Der zweite „Samstagsdialog“ findet unter Leitung von Hajo Jacobs (Kulturbund-Sekretär) im Hotel Stadt Eisenach statt. Der folgende Sonntag bringt ein Treffen von 12 Vertretern des Partei- und Staatsapparates mit den 12 Mitgliedern des Eisenacher Bürgerkomitees im Rathaus. Am gleichen Tag trifft sich die SED-Kreisleitung zu einer Besprechung der aktuellen Lage und zur Entscheidung von Kaderfragen. Im Anschluss an das Montags-Friedensgebet am 6. November bildet sich ein Demonstrationszug, der durch die gesamte Stadt führt. Vor den Gebäuden der Staatssicherheit in der Kurstra8e, der SED Kreisleitung und der Volkspolizei stellen die Demonstranten brennende Kerzen auf. Am Abend des 9. November öffnet sich für die DDR-Bürger die Grenze zur Bundesrepublik Deutschland. Der Rat des Kreises veröffentlicht am 11. November die Stellungnahme „Für beschleunigte Umgestaltung“. Die Bürgergespräche mit dem Rat der Stadt werden fortgesetzt. Es werden Arbeitsgruppen mit unterschiedlicher Themenstellung gebildet. Die Resonanz der Bevölkerung für politische Dialog-Veranstaltungen und Friedensgebete nimmt auch in Eisenach ab. Trotzdem werden begonnene Veranstaltungen konsequent fortgeführt.

Wiederum in der Aula des IfL wird am 16. November eine Diskussion um die Zukunft des Eisenacher Sommergewinns geführt, an der neben der Sommergewinns-Zunft auch Vertreter der SED-Kreisleitung teilnehmen. Im Ergebnis wird von seiten der Zunft erklärt, dass ein Sommergewinn in traditioneller Form 1990 nicht möglich ist.

Am 18. November moderiert Dr. Hasse eine weitere Gesprächsrunde über Volksbildung und Jugendfragen zwischen Mitgliedern des Eisenacher Bürgerkomitees und Vertretern staatlicher Stellen. Das Gespräch findet im Diakonissen-Mutterhaus statt. An einer Demonstration auf Initiative von Eisenacher Kulturschaffenden am 19. November beteiligen sich etwa 8.000 Bürger. Sie beginnt mit einem Demonstrationszug vom Markt zum Gebäude der Staatssicherheit und über die Wartburgallee wieder zum Markt zurück. Dem schließt sich eine Kundgebung vor der Rathaustribüne an. Zahlreiche Transparente fordern das Ende der SED-Herrschaft und ein vereintes Deutschland. Mehrere Redner melden sich zu Wort.

Im Klubraum der Kammgarnspinnerei treffen sich am 24. November Bewohner der Weststadt und der Stadtbaudirektor Johannes Jaschinski zu einer Diskussion über den Bebauungsplan für die Katharinenstraße. Die Bürger sprechen sich gegen Plattenbauweise und für eine nochmalige Überarbeitung der Baustudie aus.

Am 25. November versammelt sich im Hotel Stadt Eisenach die Kreisdelegiertenkonferenz der SED, in der gefordert wird, dass die Partei an die Spitze der Umgestaltung treten müsse. Der Landesbischof ruft beim montäglichen Friedensgebet in der Georgenkirche am 27. November zu Wachsamkeit gegen den alten Machtapparat auf. In der Diskussion wird die Forderung nach Wiedervereinigung mit starkem Beifall bedacht. Die Kreistags-Sitzung am folgenden Tag gibt zahlreiche Kaderveränderungen im Rat des Kreises und im Kreistag selber bekannt. Weitreichende Beschlüsse werden gefasst, die beispielsweise die Innenstadtbebauung betreffen.

Dezember

Zu einer Gesprächsrunde im Rat des Kreises finden sich am 2. Dezember das Eisenacher Bürger-Komitee und Vertreter der staatlichen Seite ein. Das Gespräch behandelt Rechtsfragen und die Kultur. Am ersten Adventsonntag, dem 3. Dezember, schließen sich auch die Eisenacher Bürger zu einer Menschenkette zusammen, die durch die gesamte DDR führt. In Eisenach beginnt sie an der Georgenkirche, und führt durch die Karlstraße und das Nikolaitor bis in die Oststadt. Mit der Menschenkette wollen sich die Menschen für die Erneuerung und Demokratisierung der Gesellschaft einsetzen. Am 4. Dezember begeben sich der Kreisstaatsanwalt Fischer, Dr. Hasse und weitere Vertreter des Bürgerkomitees zur Kreisdienststelle der Staatssicherheit in der Kurstraße. Mehrere Räume werden versiegelt, um die Beseitigung von Beweismaterial zu verhindern. Desweiteren werden Bürgerwachen vor dem Gebäude organisiert. Gleichzeitig kommen wieder mehrere tausend Eisenacher beim Friedensgebet in der Georgenkirche zusammen. Landesbischof Leich wendet sich vor den Zuhörern gegen eine voreilige Unterzeichnung des am 28. November von Christa Wolf und Stefan Heym verfassten Aufrufs „Für unser Land“. Er warnt vor der Ausnutzung des Aufrufs zur Stützung verfallender Machtstrukturen. Ziel sollte nicht unbedingt ein sozialistischer, sondern vielmehr ein demokratischer Staat sein, mit dem man über verschiedene Stationen zur Annäherung beider deutscher Staaten bis zur Überwindung der Trennung kommen könne.

Am gleichen Abend überträgt das Hessische Fernsehen eine Live-Sendung aus dem Hospiz. An diesem deutsch-deutschen Meinungsstreit beteiligt sich Margot Friedrich als Gesprächspartnerin.

Am folgenden Tag begeben sich Vertreter des Eisenacher Bürgerkomitees zusammen mit dem Kreisstaatsanwalt Fischer wiederum zur Dienststelle der Staatssicherheit und der SED-Kreisleitung, um die Archive und sämtliche Panzerschränke zu versiegeln.

Das Hessische Fernsehen sendet am Abend live vom Eisenacher Markt. Bürgermeister Klapczynski, Dr. Hasse und mehrere Bürger kommen zu Wort.

Die „Initiativgruppe Ärzte“ inspiziert am 6. Dezember das Kampfgruppenobjekt Eisenach-Nord. Der Waffenstützpunkt, u. a. mit Granatwerfern, Geländewagen, Maschinengewehren und tonnenweise Munition ausgestattet, wird ausgehoben und abtransportiert.

Die Eisenacher Sozialdemokratische Partei (SDP) gründet sich an diesem Tag mit anfangs 19 Mitgliedern. Bei der Kontrolle der Versiegelung an den Panzerschränken in der SED-Kreisleitung stellen Vertreter des Bürgerkomitees den Bruch eines Siegels im Zimmer des Mitarbeiters für Sicherheitsfragen fest. Der Vorfall wird der Kriminalpolizei übergeben.

In einer Beratung des Rates des Kreises mit Vertretern der im Kreis wirkenden Bürgerinitiativen, den neuen Parteien und der Kirche, wird am 7. Dezember der Rücktritt der gesamten Kreisverwaltung beschlössen. Bis zur Neuwahl amtieren die Ratsmitglieder. Einen Tag darauf wird die Dienststelle der Staatssicherheit geräumt. An der Räumung beteiligen sich auch Mitglieder des Bürgerkomitees, unter ihnen Dr. Hasse. Akten und Waffen werden auf einen LKW der Polizei geladen. Ein Siegelbruch im Heizungsbereich wird festgestellt.

Die Angehörigen der Eisenacher Volkspolizei geben am 9. Dezember eine öffentliche Erklärung ab, in der sie sich bei den Bürgern für ihr teilweise unrechtmäßiges Verhalten entschuldigen. In ähnlicher Weise äußert sich die Eisenacher Transportpolizei in einer Erklärung.

Im Anschluss an das Friedensgebet am 11. Dezember fahren mehr als tausend Eisenacher mit Autos und Bussen zum SED-Erholungsheim nach Wilhelmsthal. Die Teilnehmer des Autokorso dringen in das Gelände des Erholungsheims ein. Die Situation eskaliert teilweise - es kommt zu Gewaltanwendungen seitens der Demonstranten sowie zu verbalen Entgleisungen des Heimleiters. Die Protestaktion endet letztlich friedlich. Der Sprecherrat des „Neuen Forum“ reagiert Tags darauf mit einem Aufruf zur friedlichen und gewaltlosen Fortführung der Revolution auf die Wilhelmsthaler Ereignisse.

Die Arbeitsgruppe Wirtschaft des NF in Eisenach veröffentlicht am 13. Dezember ein Diskussionspapier mit allgemeinen Forderungen. Das Landestheater sagt eine Kabarett-Premiere ab, da die Problematik der geplanten Vorstellung von der Realität bereits überholt wurde.

Am 14. Dezember treffen sich führende Kommunalpolitiker des Werra-Meissner-Kreises und des Kreises Eisenach zu ersten deutsch-deutschen Gesprächen in Eisenach.

Vom 15. bis 17. Dezember treffen sich in Eisenach einheimische und Marburger Denkmalpfleger zu einer Beratung über Möglichkeiten einer Stadtsanierung. Das Eisenacher Bürgerkomitee und der amtierende Rat des Kreises führen am 16. Dezember einen Dialog. In Anbetracht der Wilhelmsthaler Ereignisse fordern mehrere Redner die Aufstellung von Ordnungsgruppen bei derartigen Veranstaltungen.

Mitte Dezember häufen sich in Eisenachs Stadtbild die schwarz-rot-goldenen Fahnen ohne DDR-Emblem als offene Willensbekundung für die Einheit Deutschlands. Die SED-PDS-Kreisleitung tritt am 18. Dezember zurück. An ihre Stelle tritt ein geschäftsführender Ausschuss.

Der Präsident des bundesdeutschen DRK, Prinz zu Sayn Wittgenstein, übergibt am selben Tag auf dem Gelände des Eisenacher Krankenhauses dem DRK der DDR verschiedenes medizinisches Material.

Im Gebäude des Rates des Kreises wird ein gemeinsames Büro für die SDP, das Neue Forum und den Demokratischen Aufbruch eröffnet. Am Abend wird das letzte Friedensgebet für 1989 veranstaltet. Es ist dem Gedenken an die Opfer des Stalinismus gewidmet. Am Nachmittag des 20. Dezember bildet sich in den Räumen der Superintendentur am Pfarrberg der Runde Tisch der Stadt Eisenach (unterscheidet sich vom Runden Tisch des Kreises) unter der Leitung des Eisenacher Superintendenten Herbst.

In einer öffentlichen Erklärung entschuldigen sich ehemalige Eisenacher Stasi-Mitarbeiter für die Auswirkung ihrer früheren Arbeit. In der Nacht vom 23. zum 24. Dezember wird die innerdeutsche Grenze auch für die Bundesbürger zur visafreien Durchfahrt geöffnet.

Eine Hilfsaktion für Rumänien beginnt in Eisenach.

Am 28. Dezember ist der hessische Ministerpräsident Walter Wallmann Gast des Diakonissenhauses. Er übergibt eine Hilfssendung des Bundeslandes Hessen, bestehend aus medizinischem Material. Bürgermeister Klapczynski und Dr. Hasse nehmen die Hilfssendung entgegen.

1990, Januar

Der Runde Tisch des Kreises tagt am 2. Januar. Beschlossen wird die Bildung eines Pressebeirates, um mehr Demokratie und Pluralismus in den Medien zu erreichen.

Auch zum ersten Friedensgebet des neuen Jahres am 8. Januar ist die Georgenkirche wieder gefüllt. Der sich traditionell anschließende Demonstrationszug führt vor das Lutherdenkmal. In einer Kundgebung spricht der Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Wilfried Machalett, zu den Bürgern. Die SPD, wie sie sich nun auch in der DDR nach der ersten Landesdelegiertenkonferenz vom 12. bis 14. Januar nennt, verteilt bei der Gelegenheit Flugblätter. Der Runde Tisch der Stadt Eisenach kommt am 11. Januar zusammen. Er fordert den Eisenacher Stadtbaudirektor Jaschinski zum Rücktritt auf. Einstimmig wird von den Versammelten Gerhard Schneider vom NF als neuer Stadtbaudirektor vorgeschlagen. Am Vormittag des 15. Januar treten Mitarbeiter des Eisenacher Kraftverkehrs in den Warnstreik. Sie fordern bessere Arbeits- und Lebensbedingungen, wahre Demokratie ohne Vormachtstellung der SED-PDS, und sprechen sich für eine Vereinigung von DDR und BRD in ein bis zwei Jahren aus.

Das am selben Montag stattfindende Friedensgebet wird wiederum von einer Kundgebung vor der Nikolaikirche gefolgt, die in erster Linie dem Wahlkampf dient (Volkskammerwahlen am 18. März). Zur Einheitsfront der oppositionellen Gruppierungen gegen die SED-PDS wird aufgerufen. Dem Warnstreik von Arbeitern des Kraftverkehrs schließen sich am darauffolgenden Tag Mitarbeiter der Eisenacher Kammgarnspinnerei mit einem eigenen Warnstreik und einem Forderungskatalog an.

Im Gemeindezentrum Hinter der Mauer gründet sich der Eisenacher Kreisverband der Grünen Partei. Am 18. Januar treten die Mitarbeiter des Eisenacher Kohlehandels in einen unbefristeten Streik. Auf dem Markt stellen sie ihre überalterte Fahrzeug-Technik aus.

Der Präsident der Konrad-Adenauer-Stiftung, Bernhard Vogel, trifft am 20. Januar im Diakonissen-Mutterhaus mit Vertretern des DA zusammen. Bei dem Gespräch geht es um die Arbeit des DA und um die Kommunalwahlen am 6. Mai.

Auf dem Marktplatz erfolgt am 22. Januar die feierliche Übergabe von Straßentechnik aus Marburg durch den Oberbürgermeister der Stadt, Hanno Drechsler. Am Abend spricht er auf der Montags-Kundgebung vor dem Rathaus, nachdem er am Runden Tisch der Stadt im Rathaus teilgenommen hatte. Die Leitung des Runden Tisches der Stadt übernimmt Pfarrer Reinhard Kiehne. Tags darauf trifft sich der Runde Tisch des Kreises im Gebäude der Kreisverwaltung am Markt. Die Serie der Warnstreiks setzt sich im VEB Elektrotechnik fort. Auf einer Mitgliederversammlung der Eisenacher SPD am 24. Januar wird eine Aufnahmesperre für ehemalige SED-Mitglieder erlassen. Ende Januar ziehen die Bürgerinitiativen und neuen Parteien in die Alte Posthalterei.

Der 27. Januar ist von einer SPD-Kundgebung auf dem Markt geprägt, an der Willy Brand als SPD-Ehrenvorsitzender teilnimmt und zu den auf dem Markt versammelten Bürgern spricht. Regelmäßig montags trifft sich nun der Runde Tisch der Stadt. Die abendliche Montagskundgebung im Anschluß an das Friedensgebet am 29. Januar wird offiziell zur Wahlveranstaltung erklärt. Vertreter verschiedener Parteien und demokratischen Gruppierungen ergreifen das Wort. Der Runde Tisch des Kreises trifft sich am darauf folgenden Dienstag.

Februar

Der Runde Tisch des Kreises beschließt am 6. Februar u. a. die Bildung eines Büros für Wirtschaftskoordination und Beratung von BRD-Firmen. Das Büro wird beim Rat des Kreises eingerichtet und mit Dr. Dirk Zickler besetzt. Eine Woche später entscheidet dasselbe Gremium, als Leiterin der Abteilung Kultur beim Rat des Kreises Heidi Brand einzusetzen. Eine kontroverse Diskussion wird um die Zukunft des AWE und dessen Erweiterungsvorhaben am Gries geführt. Am 14. Februar demonstrieren erstmalig die Polizisten der Eisenacher Dienststelle auf dem Markt . Eines ihrer Hauptanliegen ist, Polizei des Volkes zu sein, „ohne Wenn und Aber“.

Der Runde Tisch des Kreises beschäftigt sich am 17. Februar vornehmlich mit Vorbereitungen zur Volkskammerwahl.

In der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am 21. Februar wird die Frage nach Verbleiben des Stadtbaudirektors Jaschinski behandelt. Eine Abberufung wird mehrheitlich abgelehnt.

Während einer CDU-Wahlkundgebung am 24. Februar spricht der CDU-Politiker Friedrich Bohl, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auf dem Eisenacher Markt.

Im Verlauf der Sitzung des Runden Tischs des Kreises am 27. Februar berichtet AWE-Direktor Dr. Wolfram Liedtke über die ersten Gespräche mit der Adam Opel AG, die seit Anfang des Jahres geführt wurden. In Anbetracht der Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung vom 21. des Monats zum Verbleib des Stadtbaudirektors im Amt, droht der Runde Tisch sich aufzulösen, falls seiner Rücktrittsforderung nicht entsprochen wird. Um dies zu vermeiden, erklärt Stadtbaudirektor Jaschinski am folgenden Tag seinen Rücktritt. Sein Nachfolger wird der vom Runden Tisch vorgeschlagene Gerhard Schneider.

März

Die Sitzungen des Runden Tischs der Stadt und des Kreises widmen sich am 5. und 6. März vornehmlich den drängenden Fragen der Wahlvorbereitung. Die Eisenacher Parteien und Bürgerinitiativen stellen sich mit ihren Programmen den Bürgern vor. Im Vordergrund steht der Wahlkampf.

Während der Leipziger Frühjahrsmesse wird am 11. März ein Vertrag über die Gründung eines Joint-venture-Gemeinschaftsunternehmens zwischen der Adam-Opel-AG und der AWE-GmbH unterzeichnet. Ziel der „Opel-AWE-GmbH“ ist die jährliche Produktion von I50.000 PKW in Eisenach, und der Erhalt des PKW-Produktions-Standorts Eisenach. Am 12. März nimmt Gerhard Schneider seine Arbeit als neuer Stadtbaudirektor auf. Mit einer seiner ersten Amtshandlungen verfügt er einen Baustopp für die Tchibo-Filiale in der Karlstraße.

Am Nachmittag spricht der hessische Ministerpräsident Walter Wallmann auf einer Wahlveranstaltung der „Allianz für Deutschland“, einem Wahlbündnis von CDU, DA und Deutscher Sozialer Union (DSU), auf dem Marktplatz. Mitte März häufen sich die Geschäftseröffnungen im Stadtgebiet. Unter anderem wird am 15. März die erste Tchibo-Filiale der DDR in Eisenach eröffnet.

Die Volkskammerwahlen am 18. März ergeben einen klaren Sieg der „Allianz für Deutschland“, an deren Spitze die CDU steht.

Am 22. März treffen sich die Eisenacher Stadtverordneten zu ihrer letzten Sitzung.

Zwei Tage später wird der Sommergewinn in kleiner Form begangen. Der traditionelle Umzug durch die Weststadt entfällt. Das Streitgespräch zwischen Frau Sunna und Herrn Winter findet jedoch auf der Rathaustreppe statt.

In der Sitzung des Kreistages am 26. März wird die Kreiswahlkommission für die Kommunalwahlen am 6. Mai gebildet. Die Wahlkommission für die Stadt Eisenach konstituiert sich einen Tag darauf.

Vom 29. März bis 2. April tagt in Eisenach die Frühjahrssynode der Thüringer Landeskirche. Landesbischof Leich fordert die Pfarrer auf, sich zu entscheiden, ob sie Politiker oder Seelsorger sein wollen.

Die Deutschen Burschenschaften kehren offiziell nach Eisenach zurück. Am 31. März feiern sie ein Wartburgtreffen, nachdem der Eisenacher Bürgermeister sein vorheriges Verbot des Treffens aufgehoben hatte.

April

Aufgrund vermehrter Gewerbezulassungen wird beim Rat der Stadt Anfang April ein Gewerbeamt eingerichtet. In Anbetracht der anstehenden Kommunalwahlen am 6. Mai fordern verschiedene Parteien und Gruppierungen die Überprüfung der Kandidaten auf etwaige frühere Stasi Tätigkeit.

Der Runde Tisch des Kreises beschäftigt sich am 17. April vornehmlich mit der Problematik des zukünftigen Status des ehemaligen SED-Erholungsheims Wilhelmsthal.

Mit einer Liste werden alle Kandidaten für die Eisenacher Stadtverordnetenversammlung sowie den Kreistag der Öffentlichkeit vorgestellt. Am 20. April besuchen der Botschafter der USA in der DDR R. C. Barkley, und der Vorstandsvorsitzende von General Motors, R. B. Smith, das Eisenacher Automobilwerk. Gesprochen wird bei dieser Gelegenheit über die geplante Zusammenarbeit von Opel und AWE in der Automobilproduktion.

Am gleichen Tag kommt der Rat der Stadt zu seiner letzten Sitzung zusammen.

Letztmalig tritt am 23. April der Runde Tisch der Stadt zusammen - der Runde Tisch des Kreises beendet seine regelmäßigen Zusammenkünfte einen Tag später.

Das Eisenacher Bürgerkomitee erklärt am 27. April seine Arbeit für beendet, da nach den Kommunalwahlen kein Kontrollorgan für die kommunale Verwaltung mehr nötig sei.

Bei der PDS-Wahlveranstaltung im Neubauer-Klubhaus am 29. April stellt sich deren Parteivorsitzender Gregor Gysi den Fragen des Publikums.

Im Rathausgarten veranstaltet die SPD tags darauf ein Frühlingsfest, bei dem die Bürger über die kommunalen Ziele der Eisenacher SPD informiert werden sollen.

Mai

Der 1. Mai wird nach langer Zeit wieder ohne große Zeremonie begangen. In einem Wahlforum im Capitol werden am 2. Mai verschiedene Kandidaten für das Stadtparlament und den Kreistag vorgestellt. Im Laufe der folgenden Tage stellen die Parteien ihre Kandidaten für die Parlamente in Wahlveranstaltungen vor.

Die Kommunalwahlen ergeben am 6. Mai eine Mehrheit der CDU-Abgeordneten in der Stadtverordnetenversammlung, wie auch im Kreistag.