Die Jugendjahre Elisabeths und Ludwigs

Elisabeth wohnte während ihrer Kinderjahre bei der Landgräfin Sophia und der Schwester des ihr zugedachten und verlobten Gemahls, Jungfrau Agnes, auf Schloß Wartburg, wo allezeit der Fürstenwohnung war. Sie war ein tugendsames Kind, dessen Sinn sich früh dem Himmel zuwandte; gern lernte sie Gebete und liebte jeden, der ihr etwas von Gott lehren wollte. Ihr kindliches Herz mußte bald einen großen Schmerz ertragen lernen, denn es begab sich im zwölfhundert und zwölften Jahr, da Elisabeth erst sieben Jahre zählte, daß Frau Gertrud, die Königin von Ungarn, ihre Mutter, von den ungarischen Herren fälschlich angeklagt und verläumdet wurde bei ihrem Herrn und Gemahl, weil einer dieser Herren eine Tochter hatte, die er gern als Königin gesehen und der König Andreas wurde also verblendet, daß er seiner treuen und unschuldigen Gemahlin das Haupt abschlagen ließ. Darauf soll die Königin dem Kind Elisabeth im Traum erschienen sein, und zu ihr gesprochen haben: Liebes Kind, ich bin gestorben und leide Pein um die versäumte Zeit, die mir nicht vergönnt war, meine Sünden abzubüßen. Bitte Du Gott für mich, daß er meine Pein kürze, das vermagst Du wohl, und daß er meinen unverschuldeten Tod, den ich schmählich empfangen habe, mir als Strafe meiner Sünden anrechne. – Als das Kind erwachte, weinte es sehr, erzählte seinen Traum, und betete heiß und lange für seiner Mutter Seele, bis diese wieder erschien, ihm dankte, und ihm sagte, sie sei nun erlöst und auf dem Weg zu dem ewigen Leben.

Um diese Zeit träumte dem Landgrafen Herrmann, er stehe auf der Stätte des Vehmgerichts vor Eisenach, und sähe alle die verfehmten Toden, und diese seien allzumal zu Jungfrauen geworden. Und es käme zu ihm unsre liebe Frau und St. Katharina, die er besonders verehrte, und sprachen zu ihm: Hier sollst Du uns ein Haus bauen, daß wir diese Jungfrauen darin behalten, so wollen wir Dich auch in Kurzem zu uns nehmen. Dieser Traum bewegte den Landgrafen, das Vehmgericht von dem Kreuzweg vor der Stadt hinwegzunehmen und die Stätte vor das Nicolaithor zu verlegen und an jene Stätte ein Kloster zu Ehren der heiligen Katharina zu erbauen. Dieses erfuhr die Herzogin Imagina von Brabant, eine junge Witwe, da kam sie, und verlobte sich und all ihr Gut dem Herrn, half das Kloster bauen und begaben, und wurde dessen erste Aebtissin. Bei der Weihe des Klosters durch den Abt vom Kloster Pforte bei Naumburg war auch die junge Elisabeth zugegen. Und bald darauf starb der Landgraf Herrmann und ward im St. Katharinenkloster begraben.

Das Landgrafenthum und die Herrschaft fiel nun auf den jungen Ludwig, Herrmanns erstgebornen Sohn, Elisabeths Verlobten; dieser hatte noch zwei Brüder, Heinrich und Conrad, welche sich mit geringer Hofhaltung begnügen mußten; zu dieser Zeit war Elisabeth neun Jahre alt. Ludwig, ihr Herr und Verlobter, war ein lieblicher Jüngling, ein reiner junger Fürst, von sittlichem Wandel und heiligem Leben. Als er aus der blühenden Kindheit in ein verständiges Alter trat, ward er immer gütiger gegen einen Jeglichen, und alle Tugenden leuchteten in ihm. Er war am Leibe schön und wohlgestaltet, mit fürstlichen Geberden, voll gnädiger Zuversicht, sein Aussehen war fröhlich, zart sein Antlitz; wer ihn sah, war ihm gut und günstig; er war verschämter Rede, züchtig in Geberden, rein und keusch mit seinem Leibe, wahrhaftig in seinen Worten, getreu in seiner Freundschaft, tröstlich mit seinem Rathe, männlich in seinen Vorsätzen, vorbedacht in seinen Versprechungen, gerecht in seinem Gericht, mild im Belohnen, welcherlei Tugend man nennen kann, keine gebrach ihm.

In ihrem zehnten Jahr wollte sich schon Elisabeth, nach frommer Christen Beispiel, einen Apostel erkiesen, an den sie sich besonders mit ihrem Gebet wendete, und erwählte in ihrem Herzen St. Johannes zu ihrem Schutzpatron, den Jünger, dem Christus am Kreuze seine Mutter befahl. Weil nun das Mägdlein in so jungen Jahren eine allzugroße Frömmigkeit und Demuth an den Tag legte, so fanden sich bald Mehrere an dem Fürstenhofe, die sie deshalb verspotteten, ja haßten, und sich nicht entblödeten, ihr zu sagen, sie scheine mehr eines Bauern, denn eines Königs Kind. Ja selbst ihre künftige Schwiegermutter und Schwägerin zeigten sich unzufrieden mit ihrer allzugroßen Demuth aber sie ließ weder von dieser, noch von ihrem innigen Gebet. Sie haßte allen Schmuck, alle Kleinodien und war nicht zu bewegen, dergleichen zu tragen. Sie hielt sich freundlich zu den Armen, darüber sie viele Schmähung erdulden mußte. Manche riethen, sie ihrem Vater wieder heimzusenden, er habe ihr ja so nicht viel mitgegeben, sie passe nicht für den Landgrafen, er finde wohl noch seines Gleichen, eine Befreundete; denn das beste Sprüchwort sei: man müsse nahe freunden und ferne heeren. Von seinem Schwiegervater könne er, wenn ihm ein Feind ins Land falle, keine Hülfe haben wegen der großen Entfernung. Das Alles, und noch mehr dergleichen liebloses Urtheil wurde auch der armen Elisabeth zum Anhören gegeben und zwar tagtäglich. Die Landgräfin hoffte Grund zu finden, Elisabeth in ein Kloster zu thun, und Jungfrau Agnes schämte sich ihrer, und sprach, es wäre eine Dienstmagd an ihr verdorben, sie wollte, daß Elisabeth früher gestorben sei oder doch zu Hause wäre; ihr Bruder habe keine Ehre von ihr, denn es sei weder in Worten noch Sitten etwas an ihr, wie es Fürstenkindern geziemte. Elisabeth flüchtete sich in ihrem tiefen Kummer zu dem Trost des Gebets; sie war im Unglück, und wußte nicht wie. Fern von der Heimath, fern vom Vater, die Mutter todt, verachtet und verspottet von Allen, die sie umgaben, gab sie ihren Willen in Gottes Willen, vertraute auf ihn, und der ewige Helfer sah auch ihren Kummer, und fügte es, daß der junge Landgraf immer mehr und mehr sie recht herzlich lieb gewann. Ludwig sprach immer gütlich mit ihr, wenn er sie allein traf, tröstete sie so gut er vermochte und wenn er über Land zog, kam er nie zurück, ohne ihr etwas mitzubringen, etwa einen Rosenkranz aus Korallen, oder ein Kreuzlein, oder sonst ein Kleinod, das sie noch nicht besaß und sie erfreuen mochte. Wenn er dann nach Hause kam, nahm er sie an seinen Arm, und ging und sprach mit ihr, und gab ihr, was er ihr mitgebracht.

Eines Tages ritt Herr Walter, der Schenk von Vargula, mit dem Landgrafen, derselbe Ritter, den Landgraf Herrmann mit nach Ungarn gesandt; dem war die Betrübung und Verachtung, die Elisabeth erfahren mußte, sehr leid, ritt heimlich heran und bat Ludwig, eine Frage zu erlauben, was dieser gern gewährte. Darauf sprach der Schenk: Lieber Herr, lasset mich wissen, was mit Jungfrau Elisabeth geschehen soll, die ich einst für Euch hergebracht. Ob Ihr sie zur Ehe nehmen, oder wieder nach Hause zu ihrem Vater senden wollt, Euch schämend ihrer Demuth, und das alte Versprechen auflösend? Ludwig zeigte nach dem Inselberg, der vor ihnen lag, und antwortete: Siehst Du jenen großen Berg? Wäre der auch von Grund aus Gold, ich wollte es lieber verschmähen, als Elisabeth missen. Sie kehre sich an kein böses Wort, ich gebe sie nicht auf. Der Ritter sprach: Mein Herr, darf ich ihr ein Verkünder dieser Eurer Antwort sein? Und gütig antwortete der Fürst: Immerhin sag' ihr das, und zum Wahrzeichen, daß ich nimmer über sie verhängen will, was mir gerathen wird, bring' ihr dieses. Dabei gab er dem Ritter einen in Elfenbein gefaßten kleinen Handspiegel, dessen eine Seite blank war, und auf der andern ein zierlich gearbeitetes Crucifix. Wie der Schenk an die Jungfrau die Gabe brachte, und die tröstlichen Worte, lächelte sie mild und gütig, und nannte ihn dankbar ihren Freund und Vater.

(Ludwig Bechstein, TSS)