Das 1. Foto-Sharing
1997 lag Sonia Lee, die Frau des französisch-amerikanischen Unternehmers Philippe Kahn (* 1952), im Sutter Maternity Center in Santa Cruz, Kalifornien, in den Wehen. Kahn verband währenddessen ein StarTAC-Klapphandy von Motorola, eine Casio QV-Digitalkamera und einen Toshiba-Laptop 430CDT.
Wenn er ein Foto mit der Kamera machte, sollte das System automatisch seinen Webserver anwählen, das Bild in der Größe von 320 x 240 Pixel mit 1200 Baud hochladen und anschließend E-Mail-Benachrichtigungen mit der Adresse des Fotos an eine Liste von Freunden und Familienmitgliedern versenden.
Die Idee war für Kahn nicht neu. Schon seit etwa einem Jahr zuvor arbeitete er an einer webbasierten Infrastruktur, die er Picture Mail nannte. Picture Mail sollte das tun, was wir heute Teilen nennen: ein Benutzer lädt ein Foto und einen Text ins Internet hoch und Kontakte auf einer Liste (bspw. Freunde, Familie oder Kollegen) werden benachrichtigt und erhalten Zugriff. Kahn hatte sich zum Ziel gesetzt, das Polaroid des 21. Jahrhunderts zu werden. Instant Picture Mail sah er als eine digitale Weiterentwicklung von Polaroids Vision der Sofortbildkamera, der unmittelbaren Verfügbarkeit eines Fotos.
Was er bis dahin noch nicht gebaut hatte, war das Consumer-Hardware-Teil des Puzzles, die Benutzerschnittstelle. Da aber seine Frau während der Entbindung 18 Stunden in den Wehen lag hatte er Zeit, einen Prototyp zu bauen. Das meiste was er brauchte, hatte er bei sich. Insbesondere das Car Kit des Telefons. Für den Rest schickte er einen Assistenten zu Radio Shack. Es ist immer so, daß ohne die letzte Minute nichts fertig werden würde sagte Kahn später.
Kahn brachte das System zum Laufen bevor das Baby kam und der 11. Juni 1997 ging nicht nur als der Geburtstag seiner Tochter Sophie sondern auch als die Geburt einer ganz neuen Welt in die Geschichte ein.
Manche nennen diesen Meilenstein den Beginn der Kamerahandys. Das ist aber nicht richtig. Zuvor hatten schon andere Fotosensoren in Telefone eingebaut und es war auch nicht das erste Mal, daß jemand jemandem ein digitales Foto über das Internet geschickt hat. Aber es war das erste Mal, daß ein Foto in faktischer Echt-Zeit von einer Person mit nur einem Knopfdruck sofort an eine Liste seiner Freunden und Familienmitgliedern ging. Instant Share nannte Kahn diese Technologie.
Bis heute funktioniert Social Media so. – Man macht ein Bild, lädt es einmal auf eine Seite hoch und dann werden Benachrichtigungen gesendet und die Leute folgen einem Link zurück zu dem gespeicherten Bild. Heutzutage allgegenwärtig. Es ist die Idee hinter Snapchat, Instagram, Facebook und wie sie alle heißen. Es hat die Art und Weise, wie wir uns mit unseren Freunden und der Welt verbinden und die Art und Weise, wie wir Dinge erleben, verändert.
In den Monaten nach der Geburt seiner Tochter arbeitete Phillipe Kahn am zweiten Prototyp des Fotohandys, bei dem statt Laptop und Kamera ein Mobiltelefon mit einem Mikrocontroller und einem CMOS-Sensor verbunden wurden. Anfang 1998 gründete er rund um die Technologie das Unternehmen LightSurf. Er versuchte, Kodak, Poaroid und andere Kamerahersteller für die Technologie zu interessieren. Ohne Erfolg. Sie alle hatten zwar drahtlose Kameraprojekte aber keiner von ihnen konnte sich vorstellen, daß die Zukunft im Instant Sharing von Bildern liegen würde. Sie waren überzeugt, daß sich Telefone auf Sprache konzentrieren würden.
Kahn wandte sich darauf hin japanischen Unternehmen zu. Beim dominanten Mobilfunkanbieter Docomo hatte er kein Glück aber beim kleineren J-Phone stieß er auf Interesse. J-Phone beauftragte Sharp mit der Entwicklung ihres Sha-Mail-Telefons (übersetzt als Picture-Mail) und das Produkt wurde ein Erfolg.
Nun wurden auch US-Unternehmen plötzlich hellhörig. Ein Artikel im Wired-Magazin veranlaßte Sprint, Kahn zu kontaktieren. Sprint brachte dann zusammen mit LightSurf und Casio um 2002 das erste US-Kamerahandy mit Instant-Sharing auf den Markt. 2005 verkaufte Kahn seine Firma LightSurf für etwa 270 Mio. Dollar an Verisign.
Kahn war von Anfang an überzeugt, daß das sofortige Teilen von Fotos die Welt wirklich verändern würde. Bürgerjournalismus hatte er bspw. im Sinn. Er selbst dokumentierte die Geburt seiner Tochter, andere würden vielleicht politischere Ereignisse dokumentieren. Wo immer etwas geschehen würde, wären auch Leute mit einer Kamera.
Bob Parks, der Kahn im Jahr 2000 für den Wired-Artikel interviewte, bestätigt Kahns Voraussicht. Kahn sagte Dinge wie: In Zukunft werden die Leute Verbrechen mit Videos auf ihren Handys dokumentieren. Dann wird jeder die wahre Geschichte kennen. Parks war damals skeptisch. Er dachte: Okay, Mann, ich denke, wir werden sehen, wie das funktioniert.